
Wenn Betinho zum Interview empfängt, macht er einen kleinen Staatsakt daraus. Er bittet an einen großen Tisch, auf dem er eine Menge Beweismaterial bereithält: ein Fotoalbum, eine Tasche voller Dokumente und ein handsigniertes Nationaltrikot von Neymar. „Meinem ersten Trainer Betinho“, steht auf dem Trikot. „Eine herzliche Umarmung von deinem Athleten Neymar Junior. 100 Prozent Jesus Christus.“
„Das ist der Beweis“, sagt Betinho mit Nachdruck.
Was für ein Beweis, will man wissen.
„Ich bin Neymars Entdecker. Das steht auch in diesem Buch.“
Betinho holt eine Neymar-Biografie hervor, in der ihm als Trainer eine ganze Seite gewidmet ist. Er hat außerdem einen dicken Ordner dabei, in dem er Dutzende Artikel der Lokalzeitungen über den jungen Neymar abgeheftet hat. Keine Frage: Der Mann ist auf einer Mission. Er hat etwas vor.
Ohne Betinho wäre die Seleção derzeit nur halb so viel wert
Betinho heißt eigentlich Roberto Antonio dos Santos, doch in Brasilien haben nicht nur Fußballspieler Künstlernamen, sondern auch deren Entdecker. Betinho hat gleich zwei Superstars entdeckt, „da bin ich der Einzige in Brasilien“, sagt er. Robinho und Neymar, zwei Kinder aus seiner Region, „zwei Juwelen“, wie er sie nennt. Beide spielen jetzt unter dem neuen Trainer Dunga zusammen in der Nationalmannschaft. Betinho findet, man könne mit einer gewissen Berechtigung sagen: Ohne Betinho wäre die Seleção derzeit nur halb so viel wert. Das liegt wohl eher an Neymar als an Robinho. Es liegt vor allem am mäßigen Rest.
Eine Geschichte über die Entdecker der großen südamerikanischen Stars Messi und Neymar ist nicht so einfach. Es gibt etwa ein Dutzend Trainer, Betreuer und Nachbarn, die die beiden entdeckt haben wollen. Ein jeder will damals eine entscheidende Rolle gespielt haben. Es geht dabei nicht nur um Ehre und einen Platz in den Geschichtsbüchern. Es geht auch um viel Geld und die eigene Karriere. Es ist wie bei einem Industriepatent oder einer Goldmine: Jeder will der Erste gewesen sein.
Der dreifache Übersteiger? Hat er Neymar beigebracht
Betinho lebt in einer gesichtslosen Seitenstraße des Ortes Catiapoa, nahe der Hafenstadt Santos im Bundesstaat São Paulo. Nicht weit davon ist Neymar aufgewachsen. Er hat das schönste Haus der Gegend, einen Bungalow, gesichert mit Stacheldraht und hohen Mauern. Er ist ein kleiner runder Mann mit ähnlich schelmischem Grinsen wie Neymar. Er holt jetzt einen Ball hervor. Er zeigt einen Trick, den er Neymar beigebracht haben will – den dreifachen Übersteiger. „Der Rest ist Geschichte“, sagt er.
Eines Tages, so kann sich Betinho vorstellen, werden seine gesammelten Zeitungsartikel über Neymar sehr viel wert sein – zehntausend, hunderttausend Euro – „denn es gibt keinen anderen, der sie aufbewahrt hat, nicht mal Neymars allmächtiger Vater.“
Betinho entdeckte Neymar an einem Sonntag im Jahr 1998, am Strand von Praia Grande, während einer Partie von Neymars Freizeitteam São Vicente. Wenn er davon erzählt, klingt es wie aus einem Abenteuerroman: „Es war ein heißer Tag, Sonne, keine Wolken, ich stehe da und mir fällt sofort auf: die Schnelligkeit. Der Junge ist ein Blitz. Und dann die Wendigkeit. Und diese Ballbeherrschung. Da stehe ich also. Ich bekomme mit: Auch andere Talentscouts sind an ihm dran. Ich merke: Sie halten ihn für zu leicht. Sie sagen: Jeder Windstoß haut ihn um. Ich denke: Mach deine Recherche, Betinho. Schau dir die Eltern an.“
Betinho macht jetzt eine Kunstpause. Sein Sohn Rafael, 25, kommt hinzu, ein kräftiger Kerl, der seine Zeit vor allem mit Videospielen verbringt. Rafael hat mal mit Neymar zusammengespielt, er ist jetzt so was wie ein Zeitzeuge. „Sag dem Reporter, wie außerirdisch er war“, fordert Betinho ihn auf.
„Er war außerirdisch“, sagt der Sohn.
„Und wo ist Neymar zu dem geworden, der er heute ist?“, fragt Betinho. – „Bei uns“, sagt der Sohn. „Ganz klar.“
Es fehlt nur noch die Frage nach dem Entdecker, aber Betinho stellt sie nicht. Und Rafael zieht sich wieder zurück.
Betinho ist sich nicht ganz sicher, ob er preisgeben sollte, wie man einen Superstar entdeckt, aber es gehe hier ja um die Historie. „Ich beginne mit der Genetik“, sagt er. „Ich schaue mir als erstes die Mutter an, im Fall Neymars eine große Frau. Dann den Vater, Neymar Senior, ein athletischer Mann, der selber in der zweiten Liga spielte. Da weiß ich: Die DNA ist vielversprechend. Dann das Elternhaus: Vater und Mutter sind zusammen, eine heile Familie, gute Christen, das ist die halbe Miete.“
Neymar wurde Teil der Familie
Betinho baute den damals sechsjährigen Neymar in sein Team Portuguesa Santista ein. Er holte ihn zu Hause ab, er brachte ihn zum Training, fast fünf Jahre lang. Er begleitete ihn auch zu Arztbesuchen, las ihm aus der Bibel vor, er ließ ihn von seiner Frau bekochen. Neymar übernachtete bei ihm, er freundete sich mit Betinhos Kindern an. Er wurde Teil der Familie. „Neymar brauchte immer so ein Wohlgefühl, um gut Fußball zu spielen. Auch heute reist er ja mit dem ganzen Tross: Freunde, Familie, eine brasilianische Köchin kocht ihm Reis und schwarze Bohnen.“
Betinho beschreibt ihre Beziehung als die eines Vaters zu seinem Sohn. Dafür bezahlt Neymar heute das Studium seiner Kinder. Betinho findet, dass das ein typisch brasilianischer Deal ist, ein „jeitinho“.
Wenn Betinho seine Philosophie zusammenfassen müsste, lautet sie: „Du weißt in dem frühen Alter nie, was aus ihnen wird. Manche Talente stoßen mit 15 an ihre Grenzen. Du musst sie einzeln schulen, vor allem technisch, du musst sie betreuen, damit sie nicht abheben und in falsche Hände geraten. Eine Rundumbetreuung. Das war immer mein Vorteil.“
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