Mir eilte ein Ruf voraus

Christian Lell, erinnern Sie sich an den 8. April 2009?Lassen Sie mich berlegen Mein letztes Spiel fr den FC Bayern?Nein, Sie spielten mit den Bayern in der Champions League beim FC Barcelona.Ja, richtig. Mein Gegenspieler war damals Lionel Messi, er hat zwei Tore gemacht, und nach 43 Minuten stand das Endergebnis bereits fest: 0:4. Kein

Chris­tian Lell, erin­nern Sie sich an den 8. April 2009?
Lassen Sie mich über­legen… Mein letztes Spiel für den FC Bayern?
 
Nein, Sie spielten mit den Bayern in der Cham­pions League beim FC Bar­ce­lona.
Ja, richtig. Mein Gegen­spieler war damals Lionel Messi, er hat zwei Tore gemacht, und nach 43 Minuten stand das End­ergebnis bereits fest: 0:4. Kein schöner Abend – trotzdem habe ich neu­lich wieder dran gedacht.
 
Weil Sie mit UD Levante gegen Bar­ce­lona spielten?
Genau. Das Spiel begann ganz ordent­lich, bis zur Halb­zeit hielten wir ein 0:0. Als ich in die Kabine kam, dachte ich noch: Läuft doch ganz gut. Besser als letztes Mal jeden­falls. Am Ende stand es wieder 0:4.
 
Wie ver­tei­digt man gegen Lionel Messi?
Ich habe beim Spiel mit Levante gegen Andres Iniesta gespielt – was die Sache aber nicht groß­artig anders macht. (lacht) Du kannst gegen diese Spieler kaum ver­tei­digen, weil du als Defen­siv­spieler gar nicht erst die Mög­lich­keit dazu bekommst. Messi, Iniesta und Co. sind so schnell, ball­si­cher und wendig, dass sie sich schlichtweg nicht auf Zwei­kämpfe ein­lassen müssen.
 
UD Levante belegt momentan Platz 6 in der Liga und steht in der Zwi­schen­runde der Europa League. Hätten Sie vor Ihrem Wechsel gedacht, dass der Klub so eine gute Haus­nummer sein könnte?
Nein. Zwar hat Levante auch in der ver­gan­genen Saison schon ordent­li­chen Fuß­ball gespielt und bei­nahe die Cham­pions-League-Plätze erreicht, doch die Mann­schaft spielte kon­stant am Limit. Eigent­lich hätte man annehmen können, dass wir in dieser Saison ein­bre­chen. Doch diese Spiel­zeit ver­läuft wieder gut, trotz dünnem Kader, trotz feh­lender Super­stars. Es ist sehr erfreu­lich.
 
Am ver­gan­genen Wochen­ende haben Sie beim 3:1 gegen Ath­letic Bilbao ein sehens­wertes Tor geschossen. Wurmt es Sie nicht, dass solch einen Treffer in Deutsch­land kaum jemand zu sehen bekommt?
Zum einen denke ich, dass Fuß­ball­fans, die über den Tel­ler­rand gucken, meine Spiele ver­folgen. Ande­rer­seits ist es mir momentan gar nicht so wichtig, ständig im Mit­tel­punkt zu stehen. Ich genieße den Abstand zu Deutsch­land und zur Bun­des­liga, denn dadurch kann ich auch einige Dinge kri­tisch hin­ter­fragen und reflek­tieren.
 
Auch eigene Fehler?
Absolut.
 
Sie lassen sich also Kritik an Ihrem frü­heren Lebens­stil gefallen?
Natür­lich. Jeden­falls solange sie sich auf die Aktionen neben dem Platz bezieht, denn da habe ich zwei­fels­ohne Fehler gemacht und in vielen Situa­tionen dumm gehan­delt. Unschön finde ich es aller­dings, wenn Sachen ver­mischt werden, denn sport­lich kann ich mir nichts vor­werfen. Ich habe immer meine Leis­tung gebracht und bin stets topfit in die Spiele gegangen.
 
Ist Levante für Sie ein Neu­an­fang?
Nein, denn der Begriff impli­ziert für mich, dass ich die Ver­gan­gen­heit ver­gesse und so tue, als seien bestimmte Dinge nicht pas­siert. Das will ich nicht. Ich will diese Dinge annehmen und ver­stehen – und letzt­end­lich ver­su­chen, sie in Zukunft anders zu machen. Kurzum: UD Levante ist für mich kein Neu­an­fang, son­dern ein Fort­gang meiner Kar­riere unter anderen Vor­aus­set­zungen.
 
Sie sagten einmal: Der Ruf eilt einem Profi stets voraus.“ Wenn man Ihren Namen goo­gelt, landet man schnell auf den zahl­rei­chen Berichten über den Skandal-Profi“ Chris­tian Lell. Was wussten die Ver­ant­wort­li­chen von UD Levante über Sie?
In Deutsch­land eilte mir ein Ruf voraus, das stimmt. Bei UD Levante waren die alten aber Geschichten kein Thema. Der Trainer und der Manager kannten meine Vita und wussten, dass ich sport­lich über­zeugt habe. Mehr wollten sie nicht wissen.
 
Sie wirken heute sehr ent­spannt. Aus Deutsch­land kennt man Sie eher als…
… auf­brau­send?
 
Sind Sie das nicht?
Ich gehe sehr ent­spannt durch den Tag. Trotzdem bin ich ein sehr emo­tio­naler Mensch. Wenn ich Dinge anpacke, möchte ich sie hun­dert­pro­zentig machen – und genau diese Erwar­tungs­hal­tung habe ich auch an meine Mit­men­schen oder Mit­spieler. Ich kann durchaus ver­stehen, dass man mich für auf­brau­send hält. Ich würde mich aller­dings eher als Per­fek­tio­nist bezeichnen.
 
In Deutsch­land sah man den auf­brau­senden Chris­tian Lell zuletzt beim Rele­ga­ti­ons­spiel Hertha BSC gegen For­tuna Düs­sel­dorf. Erkennen Sie sich im Nach­hinein auf den Fern­seh­bil­dern wieder?
Die Situa­tion war ja fol­gende: Ich hatte bei Hertha BSC kurz zuvor für wei­tere drei Jahre unter­schrieben. Dieser Ver­trag bedeu­tete für mich, dass ich mich wohl fühlte und unbe­dingt mit Hertha in der Bun­des­liga spielen wollte. Berlin sollte meine neue Heimat werden. Diese Erwar­tung gepaart mit meinem sehr emo­tio­nalen Cha­rakter war in diesem Spiel ver­mut­lich keine gute Kom­bi­na­tion. Wobei…

Ja?
Die Frage ist doch: Ist über­mä­ßige Emo­tio­na­lität immer richtig? In vielen Fällen ist sie das gewiss nicht. In anderen Fällen aber schon, denn sonst wäre ich ver­mut­lich jetzt nicht dort, wo ich bin.
 
Sie haben Schieds­richter Wolf­gang Stark nach dem Spiel belei­digt und erhielten vom DFB dafür eine Sperre von fünf Par­tien. Wie denken Sie heute über die Szenen nach dem Abpfiff?
Ich war damals voll über­zeugt von meiner Reak­tion. Ich wollte den Abstieg ein­fach nicht wahr­haben. Jetzt, mit dem Abstand von sieben Monaten, kann ich sagen: Ich habe viel­leicht das Beste für den Verein und die Mann­schaft gewollt, doch in der Aus­füh­rung war das natür­lich alles großer Käse. Ich hätte die Ent­schei­dungen des Schieds­rich­ters schlichtweg akzep­tieren und die Kritik unseren Ver­eins­ver­ant­wort­li­chen über­lassen müssen.
 
Andere Spieler wurden in der Ver­gan­gen­heit wegen ihrer emo­tio­nalen oder über­bor­denden Aus­brüche gerne mal Aggres­sive Leader“, Tiger“ oder Titan“ genannt.
Das sind diese kleinen Räd­chen im Fuß­ball­ge­schäft, die ich ver­stehen und auch akzep­tieren musste. Bei einem Spieler mit meinem Ruf werden gewisse Sachen – auch sport­liche – eben anders aus­ge­legt. Letzt­end­lich darf ich da aber nicht die Schuld bei anderen suchen, son­dern muss mich fragen: Wie konnte es über­haupt so weit kommen?
 
Auf Ihrer Home­page steht der Satz des deut­schen Dich­ters Mat­thias Clau­dius: Sage nicht immer, was du weißt. Aber wisse immer, was du sagst.“ Haben Sie früher zu viel gesagt und die Medien unter­schätzt?
Unter­schätzt habe ich sie nicht. Mein Pro­blem war, dass ich mich gar nicht mit ihr aus­ein­an­der­ge­setzt habe. Ich habe erst sehr spät rea­li­siert, wie stark ein Fuß­ball­profi in der Öffent­lich­keit steht – noch dazu, wenn er Profi des FC Bayern ist.
 
Sie sind in Mün­chen geboren. Es muss Ihr Jugend­wunsch gewesen sein, einmal dort zu spielen.
Absolut. Doch als es soweit war, habe ich meine Situa­tion nicht wirk­lich reflek­tiert und mir vieles kaputt­ge­macht.
 
Anfang 2009 erlebte man einen anderen Chris­tian Lell. Sie hatten eine Stif­tung gegründet und diese öffent­lich beworben.
Die Stif­tung hilft Men­schen, die an der Stoff­wech­sel­stö­rung Muko­vis­zi­dose leiden – wie meine Schwester. Es ging gar nicht so sehr um Image­po­litur, viel­mehr darum, die Medien end­lich mal für etwas Posi­tives zu nutzen. Ich hatte ja zuvor am eigenen Leib erfahren, welche Brei­ten­wir­kung ein Fuß­ball­profi haben kann. Ich wollte also die Öffent­lich­keit mal nutzen, um Dinge sichtbar zu machen, über die wenig bis gar nicht berichtet wird.
 
Sie haben die U20- und U21-Natio­nal­mann­schaften durch­laufen. Im Sep­tember 2011 standen Sie plötz­lich wieder im Blick­feld des DFB. Joa­chim Löw soll damals eine Nomi­nie­rung in Erwä­gung gezogen haben. Träumen Sie heute noch von der Natio­nalelf?
Ich träume nur von Sachen, die nicht rea­li­sierbar sind. Träume sollen Träume bleiben.
 
Dem­zu­folge ist die Natio­nal­mann­schaft für Sie rea­li­sierbar?
Grund­sätz­lich finde ich es wichtig, sich Ziele zu setzen und diese nicht aus den Augen zu ver­lieren. Ein Ziel ist es, meine beste Leis­tung zu zeigen, und wenn diese tat­säch­lich für eine Nomi­nie­rung aus­rei­chen sollte, freue ich mich.
 
Werden Sie in die Bun­des­liga zurück­kehren?
Momentan fühle ich mich bei UD Levante pudel­wohl. Ich bin auch stolz, dass ich den Schritt ins Aus­land gemeis­tert habe. Ich habe keine Anpas­sungs­schwie­rig­keiten, fühle mich selb­stän­diger und sogar mit der Sprache wird es täg­lich besser. Trotzdem, ja, mein Ziel ist es, eines Tages wieder in der Bun­des­liga zu spielen.

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